Kapitel acht: Maulana Scheich
Ich setzte mich zu den anderen im Zimmer und ließ die Atmosphäre auf mich wirken. In einer endlosen Schlange kamen sie und fielen vor ihm nieder, wahrscheinlich schon seit Stunden saß der Scheich da und wandte sich in seiner überwältigenden Freundlichkeit jedem zu. Und in wenigen Minuten war mein Ärger des ganzen Tages verflogen und genau da trat eine Pause ein im sonst endlosen Strom der Verehrer und ich ging hin zu ihm und wurde überflutet von seiner Fröhlichkeit.
Ich durfte auch zum Abendessen mit ihm bleiben. Dann zog Maulana sich zurück.
Ich wollte nun mit Abdullah Kaffee trinken gehen, aber als wir am Hussein-Platz waren, sah ich Alfred und Hamid und Uschi, seine Freundin und noch einige andere. Sie waren gerade auf dem Weg ins Fischaui, das Cafe. Sie hatten den Scheich noch nicht gesehen, aber auch kein sehr großes Verlangen danach. Als ich hörte, daß Uschi noch in dieser Nacht nach Österreich zurückfliegen wollte, nahm ich sie und führte sie ins Dar, während die anderen ins Cafe gingen. Man wollte uns zuerst nicht einlassen, weil der Scheich müde war, aber als ich sagte, daß das Uschis letzte Nacht hier sei, führte man sie zu ihm.
Als wir ins Fischaui kamen, saßen die anderen zusammen mit Abd'Rachiem, dem Sudanesen, der vor der Ankunft des Scheichs kurz mit mir gesprochen hatte. Er redete fast den ganzen Abend mit einer Orientalistikstudentin aus Österreich, die ich jetzt zum ersten Mal sah. Alfred und Hamid waren mit zwei Ägyptern in eine arabische Diskussion verstrickt, ich unterhielt mich mit Uschi, die mir erzählte, sie habe vor, im Herbst hierher zurückzukehren, um arabisch zu lernen und gleichzeitig hier zu arbeiten. Hamid hatte ihr schon ein wenig arabisch beigebracht und es gefiel ihr hier.
Nach Mitternacht verließen wir das Cafe und Abd'Rachiem nahm mich mit in sein Zimmer "auf eine Überraschung". Und die gelang ihm tatsächlich, denn er, der Sudanese aus Saudi Arabien, präsentierte mir eine echte Salzburger Mozartkugel! Er war gerade von einer Fahrt nach Deutschland zurückgekommen und dort hatte ihm jemand eine Schachtel Mozartkugeln geschenkt. Er begleitete mich dann zu meinem Hotel. Es war bereits verriegelt. Aber anstatt zu rufen, blieben wir stehen und redeten noch lange über die Tarieqa. Ich mußte ihm die Geschichte erzählen wie ich zur Tarieqa gekommen war und er fragte mich dann über meine Muraqaba.
"Die Muraqaba ist der wichtigste Teil des Aurad", sagte er, "denn dabei kannst du mit dem Scheich sprechen, auch wenn du tausende von Kilometern von ihm entfernt bist. Zuerst konzentrierst du dich auf sein Bild. Das ist schwer, weil immer wieder Gedanken kommen und es verdrängen. Du mußt Geduld haben und es immer wieder einfangen. Bei manchen tut sich da jahrelang nichts, bei anderen aber zeigt sich schon nach einem Monat ein Erfolg. Zuerst siehst du von Zeit zu Zeit einen Lichtstrahl auf das Bild des Scheichs fallen, der gleich wieder entschwindet und das geschieht häufiger und das Licht bleibt länger und schließlich wird das Bild lebendig und verwandelt sich in den Scheich selber, der dir zuerst sagt, du sollst nicht näherkommen. Dann, wenn du sicher bist, ruft er dich und er steht vor dir so wie ich jetzt und du kannst ihn alles fragen. Er weiß alles. Dann führt er dich zu Ibrahim Desouki und der führt dich zu Prophet Mohammed und der Prophet führt dich zu Allah. Dann bist du selber wie der Scheich."
Nach allem, was ich bei Castaneda und in den Büchern über die indischen Gurus gelesen hatte, leuchtete mir das ein. Ich war froh, daß ich Abd'Rachiem kennengelernt hatte, denn er war der erste hier, mit dem ich wirklich reden konnte. Als ich in mein Zimmer kam, war ich bereits in dem Zustand der Freude, von dem das I Ching zuvor gesprochen hatte. Ich war noch so voll Energie, daß ich gleich die Comics ins Englische übersetzte, die Abd'Rachiem aus Deutschland mitgebracht hatte. Qalbia, die Frau von Mustafa, hatte sie gezeichnet, ihre Erfahrungen mit der Tarieqa, einfach köstlich.
Nach zwei ging ich schlafen und etwas nach vier wachte ich immer noch energiegeladen auf zum Morgengebet. Anschließend machte ich Aurad und schlief dann weiter bis neun. Am Vormittag suchte ich Abd'Rachiem, der mir die Texte des Aurad auf Tonband sprechen wollte, damit ich die richtige Aussprache lernen konnte, aber ich fand ihn nicht und ich konnte auch niemand nach ihm fragen, weil ich seinen Namen vergessen hatte.
Dafür traf ich Foad und der führte mich durch alte, halb verfallene Gassen in die Wohnung von Mama Sabach, die für die Tarieqa wäscht. Bisher hatte meine Wäsche immer jemand anderer hingebracht; ich sah jetzt ihre Wohnung zum ersten Mal. Die Wohnung erinnerte mich sehr daran, wie meine Eltern und ich in den Fünfzigerjahren gewohnt hatten: die alten Möbel mit den dünnen Stoffüberzügen, die Walzenmuster an der Wand, die sechseckigen Pflastersteine im Hausflur. Nur das Schaf, das im Stockwerk darunter in der offenen Wohnungstür stand, das hätte es bei uns nicht gegeben. Umma Sabach servierte uns Tee und Kuchen und zeigte uns eine ganze Schachtel voll mit Fotos von Maulana Scheich, seinem Sohn Ibrahim, den anderen seiner Familie, Scheich Ghafar und seiner Familie und von den unzähligen Feierlichkeiten der Tarieqa, an denen sie teilgenommen hatte. Ich mochte Umma Sabach. In Rußland wäre ihr sicher der Titel "Heldin der Arbeit" verliehen worden, denn sie arbeitete unentwegt, aber dennoch ohne jede Verkrampfung.
Als wir ins Dar
zurückkamen, war Abd'Rachiem
da. Er ging mit mir in mein Hotel und sprach mir den ersten Teil des Aurad auf Kassette. Dann
erzählte ich ihm über Lao-tse
und das I Ching.
Er war erstaunt über die
Antworten, die ich immer erhielt und probierte es auch gleich aus. Er war
nämlich auf der Suche nach einer Frau, weil seine Ehe vor sechs Jahren
auseinandergegangen war. Seine Frau hatte sein Engagement für die Tarieqa nicht
verkraftet, wie er sagte.
Abdullah
hatte ihm
einen Job in New York angeboten, er sollte für die Tarieqa dort als
Arabischlehrer arbeiten und so dachte er an einen Umzug dort hin. Sonderbarerweise warnte
ihn das I Ching
davor, seine Frau jenseits des großen Wassers zu suchen und es riet ihm, das
Problem dem großen Mann vorzulegen. Sein Job in Amerika ist dann auch nicht
zustandegekommen und jetzt hat er in Jedda, wo er lebt, eine Inderin geheiratet, die
sein Interesse für die Tarieqa teilt.
Am Abend traf ich dann die beiden deutschen Frauen, die vor drei Tagen hier aufgetaucht waren, Fatiha, die ehemalige Frau von Scheich Soltan Ali und ihre Freundin Aischa. Sie fragten mich, ob ich sie zu einem Abendessen begleiten würde, zu dem sie von einem Ägypter eingeladen worden waren. Sie waren für sechs verabredet, um neun wollten wir dann zu der großen Hadra zum Geburtstag von Sayida Sakkina gehen, der zweiten Tochter von Sydna el Hussein. Ich hatte nichts dagegen; aber als ich sah, daß sie von einem Parfümhändler des Basar eingeladen worden waren, begann ich Schlimmes zu ahnen.
Wie üblich verzögerte sich unsere Abfahrt von seinem Geschäft und als wir in seinem Haus bei den Pyramiden ankamen, war es bereits acht. Das Haus war wunderschön. Es war fast das letzte vor den Pyramiden und vom Dach aus hatte man das Gefühl direkt davor zu stehen. Im Haus wohnte auch sein Vater, der Kamelausflüge für Touristen macht. Teamwork! Damit hatten sie sich das Haus geschaffen und unser Gastgeber sagte immer wieder, wie stolz er sei, sich das alles selber geschaffen zu haben. Und während des Essens demonstrierte er wie: Fortwährend sprach er von den Dingen, die er zu verkaufen hatte und besonders betonte auch er, daß unter Freunden Geld keine Rolle spiele. Er schärfte den beiden ein, ihre Galabias nirgendwoanders zu kaufen, weil sie überall betrogen würden und er betonte immer wieder, daß viele Mitglieder der Tarieqa bei ihm einkauften. Dann wollte er uns gleich zu seinem zweiten Geschäft bei den Pyramiden führen und, als wir das nicht wollten wenigstens eine Kameltour für den nächsten Tag vereinbaren. Wir waren ziemlich erschöpft, als wir zu unserer Taxi kamen, mit dem wir wenigstens noch ein Stück der Hadra zu erreichen hofften. Aber als wir ankamen, strömten die Leute schon aus der Moschee.
Am nächsten Tag war ich zunächst in sehr schlechter Verfassung, müde und unkonzentriert. Mit dem Frühstück beim Scheich jedoch verbesserte sich meine Stimmung. Am Nachmittag zog Abd'Rachiem in mein Hotel um und wir besuchten dann zusammen Fatiha und Aischa.
Fatiha gefiel Abd'Rachiem. Er sagte zu mir, er meinte, sie wäre genau die richtige Frau für ihn, aber Fatiha gegenüber sagte er nichts. Er erklärte uns, wie man jemand in die Tarieqa bringt und daß man den Scheich beobachten und nachahmen sollte. Dann kamen wir auf unsere Fragen, die wir dem Scheich stellen wollten und Abd'Rachiem versprach, uns damit zu helfen. Wir sollten sie aufschreiben und er würde sie übersetzen. Ich habe dann das Thema Heirat doch aufgebracht, denn es interessierte mich, wie Fatiha darauf reagieren würde. Abd'Rachiem meinte, die Liebe sollte über den Scheich laufen, er habe eigentlich gar kein sexuelles Interesse, sondern nur das der Tarieqa und er brauche eine Frau als das weibliche Element, als Kontrapunkt und Ausgleich seiner männlichen Sicht der Welt und der Probleme der Menschen. Für ihn seien alle Frauen gleich, was das Sexuelle betrifft, aber der Unterschied sei gewaltig in der Arbeit für die Tarieqa und er meinte Fatiha habe genau den Geist, den er dabei brauche. Fatiha allerdings hatte da andere Ansichten. Sie meinte, sie könne sich eine Ehe ohne direkte Liebe nicht vorstellen und, jedenfalls jetzt noch, würde sie auch auf die Romantik des Verliebtseins nicht verzichten wollen.
Ich machte mich noch am selben Abend an die Arbeit und schrieb alles auf, was mir am Herzen lag, drei eng beschriebene DIN A4-Seiten:
Ob der Weg, den Allah führt, einfach der Weg der eigenen Neigungen sei, wie Lao-tse es beschreibt und wie ich es selber erfahren hatte.
Ob ich Lao-tse und das I Ching wie bisher als Offenbarungen betrachten konnte; Scheich Soltan Ali hatte das ja bestritten.
Ob die Technik das Problem der heutigen Welt sei.
Wie ich feststellen könnte, ob er der richtige Lehrer für mich wäre.
Warum es notwendig wäre, arabisch zu lernen, wo man meiner Erfahrung nach den Geist einer Schrift wie des Koran auch in einer Übersetzung erfassen könne.
Ob sich aus der heutigen weltweiten Kommunikation nicht eine Einigung der verschiedenen Religionen ergeben würde.
Ob die magische Welterklärung, gemäß der die Wirklichkeit ein Produkt der Vorstellung und daher formbar sei wie diese, auch im Islam gelten könne.
Ob man Engel einfach als Ebenen völkischen Bewußtseins betrachten könnte, was ich daraus schloß, daß der Erzengel Gabriel im Koran keine Informationen kundgetan hat, die über den nahöstlichen Raum hinausgehen.
Wie man als Europäer, der gelernt hat, den Nepotismus zu verachten, die Familie des Propheten lieben konnte - ich hatte Heeba in dieser Angelegenheit einmal beleidigt, als ich dem Zusammenhang von "Family-Business" gesprochen hatte.
Und noch viele andere Fragen. Auch die über die Beziehung von Ibrahim Desouki zu Hitler war dabei usw..
Die folgenden Tage waren sehr turbulent. Ich kam kaum zum Schlafen und pendelte hin und her zwischen den Fragestunden des Scheichs, Gesprächen mit Fatiha und Aischa, Abd'Rachiem und meinem Aurat.
Sehr zögernd begann Abd'Rachiem, meine Fragen zu übersetzen. Erst wollte er es nur in Stichworten tun, aber als ich ihn danach auf englisch erklären ließ, was ich gefragt hatte, sah ich, daß es ihm unmöglich war, die Schwelle zu überschreiten, die zwischen meinen Fragen lag und dem, was er dachte. Seine Interpretationen wichen von meinen tatsächlichen Fragen so weit ab, daß ich schließlich keine andere Möglichkeit sah, als daß er alles Wort für Wort übersetzte. Ungeheure Abgründe schienen sich dabei für ihn aufzutun, ganz offensichtlich traf er hier auf Gedanken, die er bis jetzt selbst nicht zu denken gewagt hatte. Immer wieder sagte er: "Das sind sehr wichtige Fragen, aber ich kann sie nicht stellen. Ich schwitze schon, wenn ich ohne Fragen vor Maulana sitze. Du mußt Scheich Fathalla bitten, der kann das Fragenstellen sehr gut und er gibt auch nicht auf, bis er eine klare Antwort hat. Gib ihm die Fragen."
Ich gab sie ihm. Aber Scheich Fathalla war nicht erfreut über die zehn Blätter mit arabischen Schriftzeichen, die ich ihm in die Hand drückte. Mißtrauisch überflog er die erste Seite und hielt mir dann den Pack Papier wieder entgegen.
"Mach Muraqaba", sagte er, "dann brauchst du diese Fragen nicht."
"Scheich Mahmud Abu Bakr ist doch nach Kairo gekommen, um Fragen zu beantworten", sagte ich. "Das sind meine Fragen. Leider kann ich sie ihm nicht selber stellen, sonst würde ich Sie nicht bemühen."
Widerwillig steckte er die Fragen ein und versprach, sie in den nächsten Tagen Stück für Stück vorzulegen. Ich hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache und am liebsten hätte ich sie ihm wieder weggenommen, aber das traute ich mich jetzt nicht mehr. Ich hätte sie Scheich Woachdan geben sollen, denn der mochte mich.
Täglich fragte ich nun Fathalla, welche Fragen er schon gestellt hätte. Immer sagte er: "Morgen". Am fünften Tag schließlich sagte er, ich solle ihm einen Kassetenrekorder geben, er würde die Fragen stellen. Ich brachte ihm mein Gerät und er sagte, vor dem Abendessen könne ich es wieder abholen. Ich holte es mir und wollte es gleich mit Abd-Rachiem abhören. Aber inzwischen war wieder eine Gruppe Deutscher gekommen und so kamen wir nicht dazu. Es war lange nach Mitternacht, als wir in Abd'Rachiems Zimmer damit begannen.
Fathalla hatte tatsächlich
aufgenommen und wir warteten auf die Fragen. Wir spielten eine ganze Seite
durch, aber es kam keine der Fragen. Dann die zweite Seite und nach einer Stunde
wußten wir, daß
Scheich Fathalla uns beschwindelt hatte. Ich hatte gute Lust, ihm einen Tritt in den
Hintern zu geben für diese Fopperei, aber statt dessen, schließlich ist er ja
ein respektierter Vertrauter von Scheich Ghafar, fragte ich ihn am Morgen höflich um die
Papiere.
Es fehlte das erste Blatt. Aber die Morgenlektion mußte jeden Moment beginnen
und das war vielleicht die letzte Gelegenheit, denn Abd'Rachiem wollte am nächsten Tag
abreisen und ich brauchte ja auch eine Übersetzung der Antworten.
Wir rekonstruierten schnell die ersten Fragen und setzten uns vor den Scheich. Abd'Rachiem konnte sich nicht entschließen, anzufangen und als er endlich seinen Mut gesammelt hatte, war das ganze Zimmer schon voll von Ägyptern. Ich war sicher, daß das die Antworten beeinflussen würde. Abd'Rachiem begann nun, die erste Seite vorzulesen und ich nahm alles auf. Obwohl sonst immer eine ganze Batterie von Kassettenrekordern um den Scheich herum stand, war jetzt kein anderes Gerät in Betrieb. Als Abd 'Rachiem an das Ende der zweiten Seite kam, wo der Inhalt etwas brisanter wurde, konnte er sich nicht mehr aufraffen, sich an seine Übersetzung zu halten. Statt dessen begann er, meine Fragen frei zu referieren und wie ich dann feststellte, schnitt er wieder genau jene Punkte ab, auf die es mir ankam. Entsprechend lasch waren auch die Antworten und ich wußte nun kaum mehr wie zuvor. Einmal fragte der Scheich ihn sogar, ihn den Englischlehrer und Übersetzer von Beruf, ob er das, was er sagte auch übersetzen konnte; und vermutlich hat er die Antworten des Scheichs genauso schlecht übersetzt wie meine Fragen.
Wieder stand ich vor der Unfähigkeit dieser Leute zu exakter Arbeit. Niemand hier schien dazu imstande zu sein. Wenn schon Abd'Rachiem meine Fragen nicht fragen konnte, mit dem ich mich so gut verstanden hatte, wie mit niemand sonst, und der das Handwerkszeug, die Sprachen beherrschte, wer konnte es sonst tun? Ich habe später versucht, wenigstens eine genaue Übersetzung der Kassette zu erhalten, aber niemand hatte die Geduld, die Kassette zuerst einmal auf arabisch abzuschreiben. Dazu hätte es schon einen Befehl von oben gebraucht.
Das einzige
Neue, das ich von Abd'Rachiems
Übersetzung der Antworten erfuhr, war, daß es im Sudan eine Wahrsagemethode
gibt, die auf ähnlichen Prinzipien beruht, wie das I Ching. Der Scheich sagte,
dieses Wissen komme von Gott, wenn es nicht verfälscht sei.
Es tat mir sehr leid, als Abd'Rachiem abfuhr, denn er hatte mich erst richtig zur Tarieqa gebracht durch seine Begeisterung und durch seine Geschichten. Er wußte Geschichten zu allem und jedem in der Tarieqa.
Durch Abd'Rachiem, z.B. erfuhr ich wie der Körper von Sydna el Hussein nach Kairo gekommen sein soll: Nach der Schlacht in der er gefallen war, kam eine fromme Frau auf das Schlachtfeld. Als sie Hussein mit abgetrenntem Haupt in seinem Blut liegen sah, geriet sie in Trance. Sie nahm das Schwert des Hussein und enthauptete damit ihren blinden Sohn, der mit ihr war. Dann nahm sie den Körper von Hussein in ihre Arme und in Gedankenschnelle wurde sie damit nach Kairo versetzt. Ein Engel flog hinter ihr her mit dem Kopf des Hussein. In Kairo herrschte zu der Zeit ein Mann, der Hussein kannte, und der hat ihm das Grabmal errichten lassen. "Und wenn du einem der Wärter hier am Grab genug Geld gibst, sagen wir tausend Dollar, dann wird er dich in der Nacht in den Schrein führen und den Sarg für dich öffnen. Sydna el Hussein liegt da drin ganz unverwest. Die haben ihm den Kopf wieder angenäht und das Blut an der Wunde ist noch so frisch, als wäre die Schlacht erst gestern gewesen."
Vor allem aber kannte Abd'Rachiem eine Unzahl von Geschichten über die Wunderkräfte von Scheich Mahmud Abu Bakr. Eine davon war ihm selbst in Libyen geschehen.
"Ich war damals Englischlehrer in einem Internat in Libyen", erzählte er. "Und da hat man einen Schüler in den Aufenthaltsraum der Lehrer gebracht, der von einem Skorpion gestochen worden war. Wir überlegten, was wir tun könnten. Das nächste Krankenhaus war ungefähr so weit weg wie von hier bis zur Wohnung von Scheich Ghafar und das nächste Transportmittel war der Esel eines Bauern, der auch ungefähr so weit weg wohnte, nur in einer anderen Richtung. Wenn wir den Jungen ins Krankenhaus bringen wollten, dauerte das also mindestens vier Stunden. Bis dahin konnte der Junge schon tot sein. Trotzdem ging sofort jemand den Esel holen und wir saßen da und wußten nicht, was tun. Da sagte einer der Lehrer spöttisch zu mir: 'Du erzählst doch immer diese Wundermärchen von deinem Scheich, jetzt kannst du einmal zeigen, was das ganze wert ist.' Ich zögerte, denn die meisten Lehrer waren Gegner der Tarieqa und wollten nur, daß ich mich blamierte. Ich wußte auch nicht, ob Maulana Scheich hier helfen würde, aber ich wußte, daß er helfen konnte, wenn er wollte. Und daher willigte ich ein. Ich wußte, ich mußte den Jungen von mir isolieren, damit das Gift nicht in mich eindrang, so ließ ich ihn den Fuß, in den er gestochen worden war, auf einen Stein stellen. Dann begann ich das Hisbul Sayfi zu rezitieren. Für diesen Fall, das wußte ich, mußte ich es sieben mal lesen. Der Junge fühlte sich schon sehr schwach, als ich begann. Das ganze Bein war glashart und die Vergiftung stieg immer höher. Als ich das dritte Mal begonnen hatte, sagte der Junge, er fühle sich etwas besser und am Ende des fünften Mals konnte ich aufhören, denn der Junge sagte, er spüre nun nichts mehr von dem Stich.
'Das Gift ist zuerst immer höher gestiegen, auf das Herz zu', beschrieb der Junge, was geschehen war. Dann, als du mit deinem Gebet begonnen hast, ist es nicht mehr so schnell gestiegen und dann ist es stehengeblieben. Und von da an ist es weggegangen, wie es gekommen ist.' An der Stelle, wo der Junge seinen Fuß hatte auf dem Stein, ist dann ein Tropfen Flüssigkeit gelegen, der aus dem Einstich herausgekommen sein muß. Wir haben den Jungen dann trotzdem ins Krankenhaus gefahren, aber die konnten kein Gift mehr entdecken. Das war das einzige Wunder, das ich selbst erlebt habe, aber ich kenne viele Leute, denen ähnliche Dinge geschehen sind.
Vor kurzem erst hat mir ein Bruder der Tarieqa in Saudi-Arabien erzählt, wie er beinahe ein Feuer verursacht hätte, wenn ihn nicht die Hand des Scheichs zurückgehalten hätte. Er war gerade beim Kochen in seinem Haus und einige Freunde waren bei ihm in der Küche und sie haben sich unterhalten. Er hatte Öl in einer Pfanne, um etwas zu backen. Das Öl war schon heiß, aber es war zu wenig. Er bückte sich um den Kanister und wollte nachgießen, als plötzlich eine Hand erschien und ihn zurückhielt. Er hat es im ersten Moment gar nicht gesehen, weil er mehr auf seine Freunde achtete und er wollte den seltsamen Widerstand überwinden, der da plötzlich auf getreten war. Da sah er ganz deutlich den Scheich vor ihm stehen und es war seine Hand, die den Kanister nach unten drückte, sodaß nichts ausfließen konnte. Erst jetzt bemerkte er, daß dieser Kanister nicht der Ölkanister war, sondern Benzin enthielt. Und damit war Maulana Scheich wieder verschwunden.
Ein anderer Freund im Sudan hat mir eine andere Geschichte erzählt", sagte Abd'Rachiem weiter. "Er war damals neu in der Tarieqa und er blieb oft von zu Hause fort, um vor Maulana zu sitzen oder mit den Brüdern in der Sauya zu reden. Schließlich beklagte sich seine Frau darüber und sagte: 'Du bist dauernd mit diesen neuen Freunden von dir und ich muß allein hier bleiben. Und wenn etwas passiert, ist niemand da'. Mein Freund ist daraufhin zu Maulana gegangen und hat ihn gefragt, was er tun soll. 'Nichts', hat Maulana ihm gesagt, 'laß nur mich das machen'. Er ist also weiterhin zu den Brüdern gegangen und zu Maulana und seine Frau war allein zu Haus. Aber eines Abends - du weißt ja wie die sudanesischen Häuser gebaut sind: Da ist immer eine Hälfte für den Mann und eine Hälfte für die Frau. Und die Frau geht nur in die Räume des Mannes, wenn sie dort etwas zu tun hat, saubermachen oder etwas holen oder so. Als nun ihr Mann wieder fort war, ist sie in sein Zimmer gegangen, aber da saß jemand; sie ist gleich wieder hinausgegangen und hat gedacht: Ah, mein Mann hat Besuch' und sie war froh, denn so brauchte sie keine Angst haben. Wenige Tage später ist dann das Gleiche wieder geschehen und sie hat sich gewundert, daß ihr Mann fort ging und einen Freund hier warten ließ. Aber sie hat nichts gesagt. Erst beim dritten Mal, als es wieder geschah, wollte sie ihren Mann zur Rede stellen, denn es war doch unhöflich wegzugehen, wenn ein Gast im Haus war. Aber als sie gerade etwas sagen wollte, hat ihr Mann ein Bild von Maulana Scheich aus der Tasche gezogen und gesagt: 'Jetzt muß ich dir doch den Mann zeigen, dessentwegen ich so oft weggehe. Das ist er.' Und die Frau hat einen Schrei losgelassen und gesagt.: 'Aber der sitzt doch in deinem Zimmer!' 'Das ist ja gar nicht möglich', hat der Mann gesagt, 'ich komme ja gerade von ihm.' 'Und ich war vorhin in deinem Zimmer und das ist der Mann, der dort gesessen hat.' Als sie nachsehen gingen, war natürlich niemand mehr da, aber die Frau hat sich von da an nicht mehr gefürchtet allein im Haus.
Und noch einem ist er erschienen, den ich kenne", sagte Abd'Rachiem. "Er ist ein Geschäftsmann, der viel in Europa zu tun hat. Er verhandelt mit großen Firmen und die tun alles, um ihn in gute Laune zu versetzen. Die hübschesten Frauen haben in seinem Hotelzimmer gewartet undsoweiter. Aber das war bevor er in die Tarieqa eintrat. Als er Maulana kennengelernt hat, hat er seinen Lebensstil total verändert. Aber er mußte weiterhin weite Geschäftsreisen machen und seine Geschäftspartner in London konnten nicht verstehen, warum er ihre Angebote zu den üblichen Vergnügungen nun plötzlich ablehnte. Sie fürchteten, die Konkurrenz könnte hinter allem stehen und ließen noch teurere Geschenke und Frauen kommen, um ihn zufriedenzustellen, aber unser Bruder hat nichts davon angerührt. Er hat das Hotel gewechselt, um den Versuchungen seiner Gastgeber zu entkommen. Aber die fanden seine neue Adresse und schon am ersten Abend wartete wieder jemand auf ihn. Die ständigen Versuchungen hatten ihn schon zermürbt und als er die Frau sah, die da nackt auf seinem Bett lag, wußte er, daß er diesmal nicht widerstehen konnte. Er ging nur noch ins Bad, um sich frisch zu machen. Aber als er in gespannter Erwartung wieder herauskam, lag da ein anderer auf seinem Bett. Es war Maulana Scheich. Die Frau hatte er schon weggeschickt", lachte Abd'Rachiem.
Abd'Rachiem war felsenfest davon überzeugt, daß Scheich Mahmud Abu Bakr der mächtigste Mann in der Welt ist. "Sieh dir den Kassettenrekorder an", sagte er. "Die komplizierte Schaltung, die da drin ist; er kennt sie genau, denn er war es, der dem Erfinder die Idee dazu gegeben hat. Du kannst ihn alles fragen, jedes wissenschaftliche Detail kann er dir sagen. Probier es aus. Nimm etwas, von dem du glaubst, daß er es sicher nicht weiß und frag ihn. Er wird es dir sagen. Du kannst auch auf Englisch mit ihm reden oder deutsch und wenn sonst niemand da ist, wird er dir sogar auf Deutsch antworten.
Da war ein Mann da drüben in dem großen Raum. Er hat es mir selbst erzählt. Er ist mitten drin gesessen und hat sich gedacht 'Ich kann nicht glauben, daß diese Geschichten, die von Maulana erzählt werden, auch stimmen. Ich werde es erst glauben, wenn ich es selbst erlebe. Maulana Scheich war gerade in einem ernsten Gespräch und der Mann dachte 'wenn er jetzt mitten drin zu mir schaut und lacht, dann glaub ich es. Und in dem Moment hat sich Maulana ihm zugewandt und hat schallend zu lachen angefangen. Der Mann ist so erschrocken, daß er aufgesprungen und hinausgelaufen ist."
Die Begeisterung von Abd'Rachiem steckte mich so an, daß ich schon am Tag, bevor er in mein Hotel gezogen ist, das erste Mal das volle Aurad gemacht habe. Sonderbarerweise ist es mir nicht nur ganz leicht gefallen, zum Morgengebet aufzustehen und hinterher gleich eineinhalb Stunden lang den ersten Teil des Aurad zu lesen, aber in der Muraqaba ist mir alles klargeworden: in welcher Weise Mohammed der Vermittler ist und wie das ganze System, das er hinterlassen hat, dafür sorgt, daß die, die den Weg dieser Tarieqa gehen, alles zur rechten Zeit bekommen.
Ich saß da vor dem Schrein von Sydna el Hussein und mit offenen und mit geschlossenen Augen konnte ich Maulana Scheich da drin sitzen sehen an der Stelle, wo Sydna el Husseins Körper lag. Er saß da wie oben vor seinen Schülern. Es war mir sonnenklar, daß ich alles, was ich je wollte, hier finden konnte. Es wäre Wahnsinn gewesen, jetzt noch wo anders zu suchen. Das höchste erreichbare Ziel lag ganz klar auf diesem Weg.
Am nächsten Tag noch bei der Silsillah sind die großen Scheichs der Reihe nach in meinem Zimmer aufmarschiert. Ich habe die Füße zur Seite gerückt und sie haben sich auf mein Bett gesetzt und die anderen auf den Boden. Allerdings konnte ich nur Scheich Mahmud Abu Bakr erkennen, die anderen sah ich nur sehr schattenhaft. Es waren Fantasiebilder, aber ich wußte, daß sie hier und jetzt wirklich waren, nicht nur in meinem Kopf, sondern draußen vor mir.
Diese Klarheit ist später nicht wiedergekehrt, sondern ich mußte immer mit einer Flut von Gedanken kämpfen, die alle aus dem Bereich meiner Wünsche und Ängste kamen. Und genau deshalb wußte ich auch, daß die Tarieqa der richtige Weg war. Wenn ich die anderen Wirklichkeiten erleben wollte, mußte ich meine Wünsche und Ängste verlieren und das war möglich, sobald ich imstande war, zu begreifen, daß ihre Erfüllung nicht von mir abhing, sondern von Gott. So konnte ich meine ehrgeizigen Ziele vergessen und alles, was damit zusammenhing, und dadurch würde ich frei werden, immer die Notwendigkeit der gegenwärtigen Situation zu erkennen. Und da war dann alles möglich. Was mir jetzt bevorstand, war der Kampf mit meinen Begierden.
Und dieser Kampf ums Loslassenkönnen würde mich wohl sehr weit begleiten, wie ich aus den Beispielen sehen konnte, die mir begegneten. Gerade jetzt erst wieder hatte sich ein mächtiger Scheich von Mahmud Abu Bakr losgesagt, weil er in einen Konflikt mit Scheich Ghafar geraten war. Abd'Rachiem versorgte mich immer mit der neuesten Information in dem Fall:
"Ich weiß nicht, ob du den Mann gesehen hast, der vorgestern Abend da war, wie dann alle weggeschickt worden sind. Stimmt, das ist ja die Zeit deiner Muraqaba. Es war bei der Lektion drüben im großen Raum. Er ist ein großer Scheich mit tausenden von Anhängern. Heute steht ein Artikel von ihm in der Zeitung, in der Gomhuria. Er hat sich von Scheich Mahmud Abu Bakr losgesagt. Selbst Leuten, die schon so weit sind auf dem Weg, passiert das noch. Bei Scheich Soltan Ali war es ja das Gleiche. Der hat auch geglaubt, jetzt, wo er Licht direkt von Allah empfing, hatte er Maulana nicht mehr nötig. Es war zu viel Licht auf einmal. Deshalb haben wir ja in der Tarieqa diese Vermittlung, damit es nicht zu viel wird. Du machst Aurad und dafür bekommst du Licht, aber nicht direkt. Maulana hält es zurück und er gibt dir immer nur gerade so viel du tragen kannst. Maulana verwahrt das ganze Licht der Tarieqa, denn er kann es tragen. Aber oft sind die Leute unzufrieden und bitten um mehr Licht. Sie bekommen es, aber wenn sie die Vermittlung von Maulana ablehnen, wird es ihnen zu viel, wie bei diesem Scheich.
Er war ein mächtiger Mann. Leute sind zu ihm gekommen und haben geklagt über Kopfweh. Er hat ihnen einfach in den Kopf gegriffen und ihr Hirn herausgenommen. Und dann hat er zu ihnen gesagt: 'Siehst du, da ist das Problem, von dem dein Kopfweh kommt, und er hat mit seinen Fingern einen kleinen dunklen Schleier entfernt, der da war. Dann hat er ihnen das Hirn wieder eingesetzt und das Kopfweh war weg. Auch wenn sie etwas mit dem Bauch hatten, hat er es so gemacht: einfach hineingegriffen und die Ursache herausgezogen. Und er hat Maulana Scheich davon erzählt. Aber Maulana hat ihm nur gesagt: 'Das, was du da machst, habe ich im kleinen Zeh; wenn ich wollte, könnte ich ganz andere Dinge tun, aber das ist nicht der Weg.' Das war schon vor längerer Zeit, aber jetzt ist es wieder hochgekommen. Vorgestern hat er zu Maulana gesagt: 'Ich habe schon über tausend Dschinn in die Tarieqa gebracht' und Maulana hat ihm gesagt: 'Wir arbeiten nicht für die Dschinn, sondern für Menschen'; da hat er gesagt: 'Aber Ibrahim Desouki hat es mir aufgetragen. ' 'Dein Ibrahim Desouki vielleicht, unser Ibrahim Desouki ist an den Dschinn nicht interessiert'. Zu uns hat Maulana dann gesagt, als er davon erzählt hat: 'Sein Ibrahim Desouki ist der Anführer der Dschinn'. Er hat ihm dann ein Ultimatum gestellt, wenn er sich nicht innerhalb von 24 Stunden mäßigt, braucht er sich nicht mehr als Mitglied der Tarieqa betrachten. Gestern Abend ist das Ultimatum abgelaufen und er ist nicht erschienen. Dafür sind drei seiner vier engsten Mitarbeiter gekommen und haben Maulana gebeten, in der Tarieqa bleiben zu dürfen. Und heute steht dieser Artikel in der Zeitung, wo der Mann schreibt, daß Scheich Ghafar nur Macht will undsoweiter. Der Mann ist erledigt."
Am folgenden Tag
erzählte mir Abd'Rachiem
dann, daß inzwischen fast alle Anhänger des abtrünnigen Scheichs bei Maulana
gewesen wären, um ihren Bund mit ihm zu erneuern. Ich hatte nichts davon
bemerkt, aber es gab ja pausenlos einen Strom von Menschen, die hereinkamen, um dem
Scheich die Hand zu küssen. Manchmal blieben auch große Gruppen hinten stehen, während Maulana
ein Gebet sprach und sie verabschiedete. Untertags durfte immer nur eine
privilegierte Schar von Leuten zu den Fragestunden, nur die eifrigsten der
Tarieqa, die anderen mußten entweder zur Lektion am Abend kommen in den großen
Raum oder sie wurden in geschlossenen Gruppen kurz eingelassen und nur wenn der
Scheich in guter Verfassung
war,
durften sie der Reihe nach
vorkommen und ihm die Hand küssen.
Nach meinem ersten Höhenflug im Aurad gleich zu Anfang des Scheichbesuchs ereignete sich bei mir nichts Außergewöhnliches mehr für einige Zeit. Aber als ich das erste Mal AI Thatiya einundvierzig mal wiederholte, wie es im Aurad vorgesehen war, erfuhr ich etwas von dem Licht, von dem Abd'Rachiem erzählt hatte. Allerdings hätte ich es nicht Licht genannt, sondern eher Trost und Erleichterung, dadurch nämlich war mir das ganze Aurad klar geworden. Ich erzählte Ibrahim und Magda aus Berlin davon, als ich sie mit Abd'Rachiem besuchte.
"Das ist nur logisch", sagte Abd'Rachiem, "ich habe dir ja erzählt, daß die Thatiya den Lichtsee erzeugt, den Maulana verwaltet."
Ich konnte mich nicht erinnern, daß er so etwas gesagt hatte.
"Na ja, jetzt weißt du's", sagte er. "Habe ich dir nicht die Geschichte erzählt, wie Ibrahim Desouki Maulana diesen Lichtsee das erste Mal gezeigt hat?"
Wir kannten sie alle nicht.
"Ihr wißt
ja von den Versammlungen
der Aulia:
der Scheichs und
der Heiligen, auch die Magesup
sind dabei und manche der Dschinn und die Engel. Es geschah, als Maulana bemerkte, daß er
schon über allen anderen Scheichs stand, die alle ihre eigenen Tarieqas hatten. Da hat er
angefangen, sich Gedanken zu machen über seine Tarieqa. Er hat ein Aurad entworfen und solche
Dinge. Das hat Ibrahim Desouki gesehen und ihn mitgenommen auf eine Reise in
die andere Welt. Dort
hat er ihn an einen riesigen See aus Licht geführt und ihm gesagt: Das ist das
Licht, das meine Anhänger angesammelt haben durch ihr Aurad und besonders durch
die Thatiya. Und von dem Licht teile ich ihnen zu, was sie brauchen. Und das alles kann
dir gehören, denn du bist mein einziger Sohn. Willst du daneben deinen eigenen
Tümpel beginnen? Du willst doch etwas zu geben haben! Also, vergiß deine eigene
Tarieqa und arbeite weiter mit mir.' Und daran hat sich Maulana gehalten."
Etwas anderes, das mich noch beunruhigte, war die Definition des Nachfolgers für Maulana. Mir war das Bild seines Sohnes Ibrahim, der jetzt schon in der Silsillah den ersten Rang einnimmt, sehr unsympathisch. Wie konnte ein so fetter Mann der Nachfolger in so einem Amt sein.
"Darüber sind auch schon einige gestolpert", sagte Abd'Rachiem. Besonders einer, der der zweite Mann war in der Tarieqa, und der auch Ibrahim geheißen hat. Er war ein sehr erfahrener Scheich und hatte eine große Zahl von Leuten in die Tarieqa gebracht. Es war wieder bei diesen Versammlungen der Aulia, daß die Nachfolgefrage angesprochen wurde. Und da hieß es von höchster Stelle, der Name des Nachfolgers sei Ibrahim. Die Anhänger von Scheich Ibrahim glaubten nun, ihr Scheich sei gemeint. Maulana hat zunächst nichts unternommen gegen die Gerüchte, aber dann hat Scheich Ghafar die Katze aus dem Sack gelassen. Er hat öffentlich den Sohn von Maulana als den Nachfolger bezeichnet. Ein wilder Streit ist daraufhin ausgebrochen, an dessen Ende Scheich Ibrahim von Khartoum aus der Tarieqa ausgeschieden ist. Er hatte auch geglaubt, daß er der genannte Ibrahim sein mußte. Es ist nämlich so bei den Versammlungen der Aulia, daß die niedrigeren Ränge immer weniger erfahren wie die höheren, die gleich wußten, welcher Ibrahim gemeint war. Die unteren aber ziehen oft falsche Schlußfolgerungen und so war es hier auch. Maulana Scheich hat das sehr weh getan, denn Scheich Ibrahim war ihm ein lieber Freund gewesen, einer der ältesten in der Tarieqa, aber der Beschluß der Aulia mußte respektiert werden.
Ibrahim, der Sohn von Maulana war seit seiner Kindheit ein Wali und wenn er dir unsympathisch ist, liegt das sicher nicht an ihm, sondern an deinen eigenen Vorurteilen. Wenn du ihn kennenlernst, wirst du es selbst sehen. Er wird in einigen Wochen auch hierher kommen."
Ich fand es sehr klug, daß das Problem auf diese Art und Weise gelöst worden ist, aber eines gewissen Verdachts des Nepotismus, konnte ich mich doch noch nicht erwehren. Was hier herrschte, war einfach die alte Feudalordnung mit Erbadel. Natürlich hatte das System sein Gutes, denn dadurch waren allen Karriere-Ambitionen von vornherein jede Erfolgsaussicht genommen.. Ich fand es faszinierend, zu sehen, wie diese geistigen Linien immer eine Zeitlang in einer Familie liefen und dann anderswohin übersprangen, wie im Fall von Scheich Mahmud Abu Bakr, der die Tradition einer anderen Familie fortsetzte. Und nachträglich wurde die Verbindungslinie weitergezogen und festgestellt, daß Scheich Mahmud Abu Bakr physisch aus der Familie des Propheten stammte und Scheich Mahmud Abu Bakr erkannte in Scheich Ghafar einen körperlichen Nachkommen der Familie Ibrahim Desoukis. Und auch die Verwandten von Scheich Ghafar spielten eine große Rolle in der Tarieqa, auch solche, die nicht so sehr liebenswürdig waren wie seine beiden Brüder Abdel Nasr und Dr. Sanhuri in Khartoum.
Auch die Frau von Scheich Ghafar, Mimma, war in dieser hervorgehobenen Position eingeschlossen. Und ohne dieses Privileg wäre sie vielleicht gar nicht in der Tarieqa. Scheich Ghafar erzählte gern die Geschichte wie Scheich Mahmud Abu Bakr sie eingefangen hat. Scheich Ghafar spielte damals in Ägypten eine wichtige Rolle als Chefredakteur einer politischen Zeitschrift und mit seiner regelmäßigen Radiosendung über den Sudan. Er durfte den Präsidenten Abdel Nasr auf Auslandsreisen begleiten und die ganze Familie verkehrte in den höchsten Kreisen. Und so fand Mimma Ghafar die Idee ihres Mannes gar nicht so gut, sich plötzlich so für die Tarieqa dieses Sudanesen einzusetzen.
Bei einem Besuch in Khartoum, als Scheich Ghafar Scheich Mahmud Abu Bakr besuchen wollte, wehrte sie sich dagegen mitzukommen, weil sie das alles für Unsinn hielt. Sie sagte: "Du geh nur hinein, ich bleibe inzwischen im Auto sitzen". Aber dann hatte sie plötzlich eine Idee: "Außer er kommt heraus, ohne daß du ihm etwas sagst, um mich hineinzubitten." "Ich persönlich glaubte nicht, daß Maulana das tun würde", sagte Scheich Ghafar. "Obwohl ich wußte, daß er es ohne weiteres könnte. Wir kamen also vor dem Haus an und ich hatte noch nichteinmal den Motor abgestellt, da öffnete sich die Tür und, barfuß wie er war, kam Maulana Scheich ans Auto. Da fiel Mimma vor ihm nieder und küßte ihm die Hand und fing an zu weinen und seither ist sie völlig verwandelt. Wenn immer es geht, sitzt sie zu seinen Füßen und in letzter Zeit läßt sie mich oft lange allein hier in Kairo, um bei ihm in Khartoum sein zu können. Maulana hat mir gesagt, normalerweise hätte er so etwas nicht getan, aber für die Frau seines Scheichs in Kairo hat er es für notwendig gehalten. Aber das Sonderbarste der Geschichte ist noch gar nicht das: Mimma hat es mir dann erzählt, als sie sich etwas beruhigt hatte: 'Daß er herausgekommen ist, wäre schon genug gewesen für mich', hat sie gesagt, 'aber deshalb habe ich nicht so weinen müssen; erst dann, als ich ihm die Hand geküßt habe! Es war nämlich nicht seine Hand, die ich geküßt habe, sondern die Hand meines Vaters! Das war keine Täuschung. Er ist doch schwarz, aber die Hand war weiß und die Haut und die Haare drauf, das war nicht seine Hand! Es war die Hand meines geliebten Vaters!'"
Auch Abd'Rachiem redete immer wieder über Mimma Ghafar. "Habt ihr gesehen, wie sie ihre Hand
immer dorthin legt, wo Maulana
vorher etwas berührt hat?"
fragte er, als wir bei Fatiha und
Aischa saßen. "Sie sieht da irgendetwas, das wir nicht sehen
können."
Wenn man die Zusammenhänge nicht kannte, war es wirklich sonderbar, was Mimma tat: Jede Tasse, aus der
der Scheich getrunken hatte, führte sie an ihre Lippen, um nach ihm zu trinken
und dann
gab sie sie weiter an die anderen in ihrer Nähe. Sie berührte die Stellen an der Wand, an denen
der Scheich
sich gestützt hatte, und jede freie Minute benützte sie, um ihm zu Füßen zu
sitzen.
Und andere in der Tarieqa
führten das Ganze weiter bis, wie mir schien, zum Fetischismus, indem sie sogar
die Klumpen Kautabak, die der Scheich in einen Topf neben seinem Stuhl gespuckt hatte, herausfischten
und in ihrem Taschentuch nach Hause trugen. Reliquien!
Noch auf jemand anderen hatte Scheich Mahmud Abu Bakr eine magische Wirkung in diesen Tagen. Auch die Geschichte hörte ich zuerst von Abd'Rachiem, aber ich habe mit der Frau dann selbst gesprochen. Sie war eine Ägypterin, die viele Jahre in England gelebt hatte. Sie hatte dort einen marokkanischen Scheich kennengelernt und viel von ihm gelernt. Und vor wenigen Tagen hatte dieser Scheich ihr gesagt, sie solle nach Ägypten zurückkehren. Sie wußte nicht warum, aber sie vertraute ihrem Scheich. Und in Kairo hatte sie dann einen Traum: Ein Scheich erschien ihr und sagte ihr, sie solle ihn besuchen. Sie fragte, wie sie ihn finden konnte und er sagte, sie solle zu Sydna el Hussein kommen. Am Morgen ist die Frau also in ein Taxi gestiegen, um hinzufahren. Und sie erzählte dem Fahrer ihren seltsamen Traum. Aber sie war nicht allein in dem Taxi. Neben dem Fahrer saß noch ein Mann. Und der langte in die Tasche und zog ein Bild von Scheich Mahmud Abu Bakr hervor und hielt es in die Höhe, sodaß sie es sehen konnte. "Ist es der?" fragte er.
"Allah!"
hat sie geschrien, als hätte sie eine
Erscheinung gehabt.
"Genau der ist es!
" hat sie gerufen und der Mann
im Taxi hat sie zu ihm geführt. Der Mann im Taxi war Scheich Woachdan. Die Frau ist seither
auch kaum von der Seite von Maulana Scheich gewichen.
Als Abd'Rachiem abreiste, klaffte für mich eine Lücke, die auch mein Aurad nicht zu schließen vermochte. Ich hatte diese zwei Wochen viel geraucht, ohne irgendwelche negativen Auswirkungen, aber kaum war er weg, begann das alte Leiden und ich hatte Schnupfen und Husten schlimmer denn je. Von da an habe ich das Rauchen endgültig eingestellt.
Eine Woche nach seiner Abreise war ich am Tiefpunkt. Ich ging erst nachmittag ins Dar, um mit dem Scheich und seinen Gästen zu essen. Diesmal waren ungewöhnlich viele Leute und ich wollte schon wieder gehen, aber man sagte mir, ich solle bleiben. Auch Schäsuli und Mistien waren da aus Segasieq.
Als ich eintrat, schaute der Scheich mich an. Ich sagte still mein Salam Aleikum und mir fiel ein, daß ich meine Foawatich vergessen hatte, die ich gewöhnlich still sprach, wenn ich das Apartment des Scheichs betrat, aber dann nahm das Essen meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Als ich das nächste Mal zum Scheich hinsah, hatte er sich zur Seite gewendet und schien ganz in Meditation versunken. Als ich das sah, überschwemmte mich eine Welle von Traurigkeit und ich mußte kämpfen, um nicht zu weinen anzufangen. Zum Glück wurde dann meine Aufmerksamkeit wieder von der Nachspeise abgelenkt.
Nach dem anschließenden Nachmittagsgebet mußten alle den Raum verlassen. Ein leichter Ärger stieg in mir auf, weil einige besonders Privilegierte bleiben durften, obwohl ich gar nicht vorgehabt hatte, zu bleiben, weil ich in diesem Zustand nicht zwei Stunden lang eingekeilt sein wollte, wie sonst oft, von einer Horde, die den Scheich am liebsten verschlungen hätte, wo sich jeder ununterbrochen Zentimeter um Zentimeter nach vor schob, bis jeder Quadratzentimeter Zwischenraum zwischen den Leuten ausgefüllt war und man sich nicht mehr rühren konnte. Zu meiner Überraschung gab es nicht die sonst zu dieser Zeit übliche Fragestunde, sondern der Scheich saß in sich versunken in seinem Sessel und ließ sich von einem Kassettenrekorder Hadragesänge vorspielen.
Zu Beginn muß es etwas sehr Lustiges gegeben haben, denn er lachte sich halb tot, nur um dann wieder völlig wegzutreten. Ich saß im Vorraum und konnte ihn gerade noch sehen. Aber wenn ich ihn ansah, erfaßte mich eine seltsame Stimmung, die mich durch und durch erschütterte. Am liebsten hätte ich laut herausgeweint. Irgendwie, schien mir, spürte ich, wie er das Leid aller in sich aufsaugte. Ich konnte immer nur einen Augenblick lang hinsehen, ein wenig länger und ich hätte das Weinen nicht länger unterdrücken können. Dann kam Schafei, der Magesup, und lief weinend wieder hinaus. Und gleich darauf fing der Mann neben mir, der immer die Tür hütete, still zu weinen an. Es spielten immer noch die Hadragesänge. Ich wußte, ich mußte schnell weg von hier, denn der Druck wurde immer unerträglicher. Zum Glück kamen dann einige neue Leute herein und die Ablenkung verringerte die Spannung, obwohl ich immer noch ständig auf der Hut sein mußte, um nicht loszuheulen. Schließlich wurde die Kassette abgestellt und der Scheich ging in sein Zimmer. Ich lief in mein Hotel und kaum hatte ich die Tür hinter mir zu, brach es heraus aus mir. Es war, als wäre das Ganze für mich inszeniert, weil ich mich immer beklagte, daß mir von den Big-Shots hier keiner Aufmerksamkeit schenkte. Immerhin war ich schon fünf Monate da und es war mir noch nicht gelungen ein Gespräch mit Scheich Ghafar zu führen. Gestern erst hatte ich den dicken Sudanesen, mit dem ich in Khartoum so viel gestritten hatte, Scheich Gaziem, gebeten den Scheich für mich zu fragen, was denn verkehrt mit mir sei, weil ich dauernd erkältet war. Und Scheich Gaziem sagte: "Ich bin auch dauernd krank. Das sind die kleinen Geschenke des Scheichs, für dich als Zeichen dafür, daß er dich annimmt."
Als ich am Abend nocheinmal ins Dar kam, sah ich, daß der Scheich sehr schwach war. Er konnte sich nicht mehr allein aus seinem Sessel erheben. Es war Vollmond und die Hunde bellten die ganze Nacht und ich bellte mit ihnen in meinem Husten. Ich konnte keine Minute schlafen. Am nächsten Morgen durfte niemand zum Scheich, außer seinen engsten Vertrauten. Es hieß er sei sehr krank. Erst eine Woche später erschien er wieder in dem Raum, in dem wir aßen und wo er die Fragen der Leute beantwortete. Er kam zum Nachmittagsgebet und blieb dann wieder für eine Fragestunde. Er schien noch sehr schwach und er war viel abwesend, aber er hielt über eine Stunde durch. Gegen Ende wurde seine Schwäche immer offenkundiger, aber es war niemand da, der gesagt hätte "Schluß!" wie sonst. Schließlich verlangte er nach seinem Stock und alle standen auf. Und als er auch gerade aufstehen wollte, mußte er sich erbrechen und gleich noch einige male. So waren wieder alle sehr bedrückt.
Meine Erkältung war auch noch nicht vorüber. Ich mußte mir eine weitere Schachtel Tabletten kaufen, damit sie nicht von neuem begann.
In den letzten
Tagen, da es keine Audienzen beim Scheich gegeben hatte, hatte ich begonnen
eine Lektion von Scheich Woachdan
über Fragen der Scharia
zu einer kurzen aber vollständigen Einführung in die wichtigsten Regeln des
Islams umzuarbeiten. Jede
Einzelheit wurde mit Scheich Woachdan besprochen und er machte die Endkorrektur der
englischen Fassung, die ich dann ins Deutsche übersetzte. Die Arbeit wurde gerade
rechtzeitig fertig, sodaß
die letzten der deutschen Gruppe, Kariema und Amina, einige Kopien mit nach Deutschland nehmen
konnten.
Als der Scheich wieder bei Kräften war, verlief auch für mich wieder alles normal. Meine Zeit verbrachte ich vorwiegend mit Aurad. Wenn ich nur das Minimum machte, das vorgeschrieben war, brauchte ich dazu acht Stunden täglich, ohne das islamische Gebet. Mit den Besuchen beim Scheich war der Rest meiner Zeit voll ausgefüllt.
Anfang April lief mein Visum wieder aus und bei der monatlichen Umtauschrate von hundertzwanzig Pfund, die damals galt, rückte das Ende meines Aufenthalts in Ägypten in greifbare Nähe. Ich ließ daher erneut den Scheich fragen, was ich nach meiner Rückkehr nach Europa tun konnte. Sollte ich wieder katholische Religion unterrichten, sollte ich ein Doktorat machen und eine Laufbahn an der Universität anstreben, sollte ich ein Schriftsteller werden oder sollte ich versuchen, wie der Australier Abdel Salam, in Saudi-Arabien Arbeit zu finden und gleichzeitig arabisch zu lernen. Der Scheich sagte nur "Unterrichten ist eine Kunst", aber es wüßte jeder selber am besten, womit er sein Geld verdienen konnte. Mimma Ghafar natürlich fand es völlig ausgeschlossen, daß ich weiter katholische Religion unterrichtete. Aber wenigstens für den Anfang würde mir wohl nichts anderes übrig bleiben, wenn ich zurückkehrte.
Vorerst
allerdings erneuerte ich mein Visum um weitere zwei Monate. Wenigstens so lange
der Scheich da war,
wollte ich bleiben.
Eine außergewöhnliche Szene
gab es in diesen Tagen mit Schafei. Er war wieder einmal schlecht gelaunt und schrie
nach Tee. Er schäumte vor Aufregung,
als ob er sagen wollte: Ich habe ein Recht auf Tee und ihr habt mir zu gehorchen. Sein
Unterkiefer zitterte noch Minuten danach, so hatte er sich aufgeregt. Aber nichts geschah. Als es offensichtlich
wurde, daß sich niemand gefunden hatte, ihm Tee zu machen, sprang Schafei
plötzlich auf und begann zu schreien. Er rannte zur Küche, aber die war voll mit
Leuten, so konnte er nicht hinein, und er schrie weiter. Dann befahl ihm Scheich Salah, zu gehen, aber er blieb
und schrie.
Schließlich kam es so weit, daß man ihn mit Gewalt aus dem Apartment entfernte.
Schafei war außer sich.
Am Höhepunkt des Tumults läutete das Telefon. Es war Scheich Ghafar, der Scheich Salah
sprechen wollte. Aber Scheich Salah war beschäftigt mit Schafei. So wurde der Hörer neben
das Telefon gelegt. Ein
Sudanese löste schließlich Scheich Salah ab; die Ägypter schienen sich alle zu
fürchten, Schafei anzugreifen. Als er endlich draußen
war, nahm Scheich
Salah den Hörer, ohne ein Wort zu sagen hörte er nur zu und legte dann auf. Ein
wenig später öffnete wieder jemand die Tür zum Apartment und Schafei stürmte
herein und fing wieder an zu schreien. Da sagte Ibrahim etwas zu ihm, was ihn
augenblicklich kleinlaut machte. Dann brachte er ihm eine Tasse Tee. Mir
schien, Schafei fürchtete nun, auf die Straße gesetzt zu werden; im Vergleich
zu den anderen Magesups genoß
er im Dar doch ein geradezu luxuriöses Leben. Daß er überhaupt da sein konnte, dachte ich,
konnte nur darauf zurückzuführen sein, daß Scheich Ghafar ihn da haben wollte,
als Provokation für die anderen Gäste des Hauses.
Die nächste außergewöhnliche Szene gab es wenige Tage später mit mir:
Abd'Rachiem hatte mich darauf aufmerksam gemacht, daß er in der Apotheke von Scheich Fathalla eine Notiz gefunden habe über ein Medikament zur Pigmentierung der sonderbar weißen Stellen meiner Haut. Mein Hautarzt in Salzburg hatte mich schon darauf aufmerksam gemacht, daß es in Ägypten Drogen dafür gäbe, die bei uns unbekannt wären. So fragte ich Fathalla danach und er sagte, es handle sich um eine Medizin des Scheichs und er sei schon dabei, sie zuzubereiten, es werde aber noch einige Wochen dauern, denn verschiedene dafür notwendige Fermentierungsprozesse brauchten Zeit. Nun war die Medizin fertig. Als Scheich Fathalla sie mir gab, hatte er einen Mann bei sich, der seine Vitiligo ebenfalls damit behandelt hatte und die weißen Flecken auf seiner Haut waren bereits fast zur Gänze verschwunden; eine Woche vielleicht noch mußte er seine Behandlung fortsetzen. Das beeindruckte mich. Das Mittel war ein Pulver, das aussah wie Henna. Ich mußte es mit abgekochtem Honig vermischen und am Vormittag jeweils einen Kaffeelöffel voll davon einnehmen. Eine Stunde später sollte ich mich für eine volle Stunde in die Sonne setzen.
Am ersten Tag meiner Behandlung war der Himmel überzogen von einer leichten Dunstschicht, trotzdem war es so heiß, daß ich mich nicht direkt auf den Steinboden am Dach des Dar setzen konnte. Am Abend waren die weißen Stellen leicht gerötet. Am nächsten Tag war das Wetter genauso und am Abend sagte Fathalla, als er mich sah: "Man sieht ja schon eine Veränderung". "Ja, meine Haut wird rot", sagte ich, sonst konnte ich nichts bemerken.
Am dritten Tag war der Himmel völlig klar und die Sonne brannte viel stärker als an den beiden vorangegangenen Tagen. Trotzdem hielt ich die Stunde durch, denn ich dachte, meine Haut hätte sich durch die ersten beiden Tage schon eingewöhnt. Aber schon wenig später bemerkte ich, daß es zu viel gewesen war. Am Abend brannte alles schon. Ich ging Fathalla suchen. Er war beim Scheich. Er kam heraus, als ich ihm winkte. Ich sagte ihm, ich hätte einen schrecklichen Sonnenbrand. Er sah mich an und meinte mit einer wegwerfenden Handbewegung:
"Ah, das ist schon richtig so, sonst kann das Mittel nicht wirken. Du mußt dich nur morgen wieder in die Sonne setzen.
"Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich morgen wieder in die Sonne gehen könnte; ich bin sicher, daß ich mindestens eine Woche aussetzen muß, um das hier abheilen zu lassen."
"Nein, nein, da darf es keine Pause geben, sonst wirkt das Mittel nicht."
"Ich kann aber jetzt schon sehen, daß ich morgen wahrscheinlich nicht mehr gehen oder stehen kann, weil alles jetzt schon so schmerzt."
"Das ist eine Medizin von ja-a-mi Scheich", sagte er. "Du mußt auf ihn vertrauen. Was du hast, ist nur eine allergische Reaktion."
Ein ungeheures Gefühl ohnmächtiger Wut staute sich in meiner Brust. Mir war klar, daß Fathalla mich nicht verstehen wollte. Meine Haut brannte, daß ich es kaum noch aushalten konnte, und ich hatte mich hergeschleppt, um von ihm, dem Pharmazeuten, Hilfe zu bekommen - nur um seinem Zynismus zu begegnen. Aber ich hatte keine Zeit für eine Auseinandersetzung, so fragte ich nur nach Medikamenten für den Sonnenbrand. Ich sagte, ich bräuchte ein Cortisonspray, aber er stellte sich begriffstutzig und tat so, als hätte er noch nie etwas von Cortison gehört. Dann sagte er, es gäbe kein Spray, ich müßte eine Creme auftragen.
Ich mußte mich setzen, weil ich spürte, wie es mir schwarz vor den Augen wurde, aber es war kein Sitz frei, nur der Tisch hinter mir und darauf setzte ich mich. Und sofort erhob sich das Gemurre der Bigotten über meine Unhöflichkeit, mich vor all den großen Scheichs, die da waren, einfach auf den Tisch zu setzen. Man bot mir einen Platz hinter dem Tisch an, aber ich fühlte mich nicht nach Formalitäten und vor allem wollte ich vermeiden, daß mir jemand gegen meine aufgebrannte Haut stieß. Als ich die Namen der Präparate hatte, die Fathalla mir sagte, ging ich, ohne mich um das Palaver, das meinetwegen begonnen hatte, weiter zu beachten.
Weil mich meine Füße noch trugen, kaufte ich auf dem Weg in die Apotheke noch einen riesigen Sack Orangen und ein Kilo Erdnüsse. Ich rechnete damit, daß das mein Essen sein würde in den nächsten Tagen, denn ich war sicher, daß ich, wenn ich einmal in meinem Zimmer war, die Treppen für längere Zeit nicht mehr heruntersteigen konnte. Und ich traute es den Leuten hier zu, mich eine Woche lang nicht zu sehen, ohne sich nach mir zu erkundigen. In der Apotheke waren viele Leute und ich konnte kaum noch stehen. Aber das Schwierigste war der Weg nach Hause.
Als ich endlich im Bett lag, brannten meine Arme und Beine, als stünden sie in Flammen. Ich trug zuerst etwas von der Desinfektionsflüssigkeit auf, aber die Creme aufzutragen war zu schmerzhaft. Zum Glück war ich todmüde und so schlief ich trotz der Schmerzen einige Stunden. Ich konnte dann sogar noch das Morgengebet machen und anschließend nocheinmal schlafen, obwohl meine Glieder brannten wie am Abend.
Als ich aufwachte, sah ich, daß das Datum meiner Uhr auf Null gesprungen war und genauso fühlte ich mich. Unter höllischen Schmerzen konnte ich mich noch ein letztes Mal zur Toilette schleppen, und als ich mich wieder hinlegte, wußte ich, daß ich dieses Zimmer hier für einige Zeit nicht mehr verlassen würde. Ich hoffte nur, daß irgend jemand käme, aber wer sollte kommen? Höchstens Foad. Er hatte immer noch einige Kleinigkeiten bei mir. Er war zwar mindestens zwei Wochen schon nicht mehr hier gewesen, aber erst gestern vormittag hatte ich ihn gefragt, warum er nie mehr komme.
Ich rief im Geist den Scheich und sah ein sehr gutes Fantasiebild direkt vor mir. Er lächelte, aber mir war nicht nach Lächeln zumute. Vermutlich würde man erst nach einer Woche auf die Idee kommen, nach mir zu sehen. Ich begann zu weinen, weil ich mir so hilflos vorkam. Aber irgendwie würde ich das schon überleben, auch wenn ich mich im Moment so schlecht fühlte, daß ich dachte, zu sterben wäre eine Gnade. Wenn ich an Fathalla dachte, konnte ich nur wieder zu weinen anfangen. Ich haßte dieses unmenschliche Großmaul, ein ausgesprochen ungutes Exemplar der ohnehin schon unguten Ägypter. Ein großes Sufi-Tier, aber ein Barbar ohne Herz. Ich war froh um meine Erdnüsse. Essen beruhigte mich.
Als ich genug hatte, schwenkten meine Gedanken wieder zu Fathalla. Ich haßte ihn. Wie Maulana Scheich diesen arroganten Gockel mögen konnte, war mir ein Rätsel. Warum hatten die mir dieses Mittel überhaupt gegeben? Wollten die mich umbringen oder mir einen Denkzettel verpassen? Sie hätten mich warnen müssen. Sie hätten doch wissen müssen, daß meine Haut nicht so an die Sonne gewöhnt war, wie die der Ägypter. Ich haßte sie alle.
Doch plötzlich wurde mir bewußt, was ich da tat. Weil ich vor mir selber nicht zugeben wollte, daß es völlig wahnsinnig von mir gewesen war, so lange in der Sonne zu bleiben, obwohl ich doch schon gespürt hatte, daß es zu viel wäre, gab ich diesen Leuten die Schuld, die mir doch helfen wollten!
Es tat mir leid. Und weil ich wußte, daß ich mit meinen Gedanken etwas in die Welt gesetzt hatte, nahm ich meine Beschuldigungen nun zurück und bat alle, gegen die ich negative Gedanken ausgesandt hatte, um Verzeihung.
In diesem Moment öffnete sich die Tür, ohne daß ich jemand die Treppen heraufgehen gehört hätte, und herein kam Foad, völlig geistesabwesend. Er sah sich im Zimmer um, aber er sah mich nicht. Er hielt Briefumschläge in der Hand und ich hatte das Gefühl, er versuchte, sich zu erinnern, warum er hier hergekommen war. Ich glaube nicht, daß es ihm eingefallen ist, aber als er mich sah, spielte das auch keine Rolle mehr. Eine Welle von Selbstmitleid kam hoch in mir, als ich ihm erzählte, was geschehen war. Er ging ins Dar und brachte mir etwas zu essen. Ich bat ihn, mir auch noch Wasser zu bringen und eine leere Flasche, damit ich nicht aufs Klo gehen mußte, denn ich hielt es jetzt nicht mehr aus, die Füße auf den Boden zu stellen. Wenn ich sie auch nur ein wenig unter die Bettkante absenkte, brannten sie, als hielte ich sie in kochendes Wasser. Dann bat ich Foad, einen Arzt zu holen, mit dem er dann am Abend kam. Auch Said Hafiz kam aus dem Dar. Der Doktor verschrieb mir eine Menge Tabletten und eine antibakterielle Lösung zum Auftragen. Das tat schrecklich weh, aber Foad redete mir so lange gut zu, bis ich alles bedeckt hatte.
Am späten Abend kam dann Alfred und mit ihm Trixi, die ich wenige Tage vorher schon mit ihm getroffen hatte. Der Besuch heiterte mich sehr auf und ich freute mich, als Trixi sagte, sie würde am nächsten Tag wieder vorbeikommen. Die folgende Nacht war schrecklich. Ich konnte nicht schlafen, weil alles so brannte und weil ich mich nicht bewegen konnte. Ich fühlte mich wie nach einem schweren Verkehrsunfall, mit sämtlichen Gliedern gebrochen. AIs Foad am nächsten Tag kam, konnte ich nichteinmal mehr selber essen. Er mußte mich füttern, vier Tage lang, denn ich konnte meine Hände nicht mehr gebrauchen, denn sie waren ganz dick angeschwollen und so entzündet, daß ich meine Finger nicht mehr abbiegen konnte. Schon die Flasche zu halten, wenn ich einmal mußte, war eine Höllenqual.
Am Abend kam der Doktor wieder und schmierte mir die Creme ins Gesicht, das erstaunlicherweise kaum noch schmerzte, obwohl es sehr stark angeschwollen war. Er sagte, ich wäre nun schon entspannter; gestern wären mein Gesicht und meine Haut zornig gewesen, nun hätte sich das gelegt und sicher würde alles schnell besser werden.
Trixie kam nicht an dem Abend, weil Alfred eine Lesung seiner Gedichte im österreichischen Kulturinstitut hatte, aber am nächsten Tag überraschte sie mich mit ihrem Besuch. Wir plauderten eine ganze Weile, dann öffnete sie das Fenster und rief jemandem zu sie würde gleich kommen. Ich sagte ihr, sie solle ihren Begleiter doch heraufholen und so kam er. Er war offensichtlich aus der ägyptischen Oberschicht; der Freund ihrer ägyptischen Stiefmutter, wie sie mir am nächsten Tag erklärte. Als er mich fragte, wer das auf dem Bild sei, das ich in der Schreibmaschine stecken hatte, und ich sagte "Scheich Mahmud Abu Bakr", stand Trixie schnell auf und verabschiedete sich. Und erst da erinnerte ich mich, daß die Stiefmutter und ihre Familie, bei der Trixi wohnte, Christen sind und da ist alles Islamische tabu.
An dem Abend kam der Doktor nicht, es war der Abend der Hadra, und Foad brachte mir das Abendessen erst um Mitternacht. Und was er mir brachte! Die Reste der Reste. Foad war einfach zu schüchtern, um nach etwas zu fragen. Als am nächsten Tag Said Hafiz wiederkam, sagte ich ihm das und von da an bekam ich auch Yoghurt und sogar etwas Fleisch.
Am Nachmittag kam Trixie wieder. Der Hotelwirt und sein Sohn waren gerade dabei, das ganze Stockwerk aufzuwaschen. Das Wasser stand überall mehrere Zentimeter tief, sodaß sie zuerst gar nicht ins Zimmer konnte. Als der Wasserspiegel sank, rief ich sie, denn ein Ende der Putzerei war nicht abzusehen. Sie mußte sich ins Bett setzen, denn die machten noch zwei weitere Aufgüsse mit einem Desinfektionsmittel, das nach Stunden noch die Luft verpestete. Trixie sagte, ihr Flug sei verschoben worden, weil ihre Familie, die sie eingeladen hatte, nun das Geld für den Rückflug nicht hatte, denn sie hatten nicht gewußt, daß sie dafür nicht in ägyptischen Pfund bezahlen konnten, weil sie eine Ausländerin war. Sie erzählte mir von Argentinien, wo sie die letzten vier Jahre mit ihrem Vater gelebt hatte, der dort für die Botschaft arbeitete und beschrieb mir den grotesken Militarismus dort. Und gerade als wir wieder auf die Tarieqa zu sprechen kamen und ich ihr die Gründe nannte, die mich hierhergeführt hatten, kam wieder ihr Begleiter, um sie abzuholen.
Am nächsten Tag fuhr Scheich Mahmud Abu Bakr nach Assuan und der ganze Schwanz von Begleitern mit ihm; auch Foad fuhr. Zum Glück konnte ich inzwischen meine Hände schon wieder gebrauchen, nur die Füße konnte ich noch nicht auf den Boden stellen. Das Essen brachten mir jetzt andere, wenigstens am ersten Tag. Und tags darauf schaffte ich sogar schon wieder den Weg zur Dusche. Ich setzte mich auf den Boden und wusch die graue Masse des Desinfektionsmittels ab. Die Füße waren noch stark angeschwollen, aber sonst fühlte ich mich nicht schlecht, solange ich im Bett lag. Als die alte Haut jetzt im Gesicht abging, konnte ich schon sehen, daß die Kur den gegenteiligen Effekt gehabt hatte. Die weißen Flächen waren jetzt größer. Aber jetzt rührte mich Fathalla nicht mehr zu Tränen deswegen.
Da der Scheich nicht da war, fürchtete ich jetzt auch nicht mehr, etwas zu versäumen. Nur Foad fehlte mir, denn die folgenden Tage bekam ich sehr unregelmäßig zu essen; an manchen Tagen erst um zehn Uhr abends das erste Mal, wenn Foads Freund Ali vorbeischaute. Von all den Leuten, die mir durch Foad immer Grüße ausrichten hatten lassen, kam keiner. Dabei war das Dar keine zwei Minuten entfernt.
Darüber, daß man mich jetzt total vergessen hatte, war ich oft sehr deprimiert. Aber einmal, als ich gerade meine Übung mit dem Mantra "Allah" machte, wurde mir klar, daß ich jetzt eine Gelegenheit hatte, das "danke" Sagen zu üben für jede Kleinigkeit. Und wenn ich es recht bedachte, fehlte mir ja nichts; verglichen mit vielen lebte ich im Luxus mit meinen Orangen, Mandarinen und Erdnüssen. Und wenn mir da auch noch jemand Sandwiches brachte, konnte ich das als Festmahl sehen. Und wenn einmal wirklich niemand kommen sollte, konnte ich auch Machmud rufen, den Sohn des Hotelwirts.
Ich brauchte lange, um das einzusehen, aber in dem Moment, als es mir klar war, öffnete sich die Tür und Alfred kam herein mit Abu Hattab, dem Dekan der Sprachenfakultät der Azhar Universität. Sie brachten eine riesige Schachtel Süßigkeiten. Alfreds Chef schien ein sehr umgänglicher Mann zu sein, ganz anders als bei uns die Universitätsprofessoren, echt wie ein Freund. Er hatte in der DDR studiert und sprach natürlich sehr gut deutsch. Alfred hatte schon ein paar mal angedeutet, daß ich vielleicht gelegentlich für die Uni arbeiten könnte, denn es gab da immer wieder was zu tippen oder sogar Lehrbücher zu bearbeiten, wo jemand gebraucht wurde, der deutsch als Muttersprache sprach.
Am nächsten Tag begann die Haut an den Beinen abzugehen und ich war schockiert über die Farbe der neuen Haut: Sie war orange-rot-braun gesprenkelt und sah schrecklich aus. Ich erinnerte mich wieder an die Gedanken, die mir in diesen Tagen manchmal aufgeblitzt waren: Ob diese Scheich-Medizin mir, diesem lästigen Frager, den Todesstoß versetzen hätte sollen? Zu ähnlich war meine Situation der des Dr. Dasein im Roman "The Santaroga Barriere". Aber irgendwie reimte sich das nicht mit den anderen Dingen zusammen, die ich vom Scheich wußte oder zu spüren glaubte. Ghafar oder Fathalla allerdings hätte ich es ohne weiteres zugetraut.
Während ich im Bett lag, machte ich die ganze Zeit Aurad. Allerdings fiel mir die Konzentration schwer, erst wegen der Schmerzen und jetzt, weil alles juckte, aber auch sonst flogen meine Gedanken ohne Kontrolle. Es war offensichtlich, daß das Aurad eine Konzentrationsschule war und daß es im Grunde gleich war, ob man Gebete dazu benützte, wie hier, oder gewisse Punkte in der Landschaft oder Wolken, wie bei Castaneda. In beiden Fällen bekam die Wahrnehmung Flügel, wie ich bemerkte, als Alfred und Abu Hattab in mein Zimmer kamen. In dem Augenblick der Erkenntnis, der dem vorangegangen war, hatte ich eine große Erleichterung gespürt, als ob ein Bann oder ein Damm gebrochen wäre, der mich abgeschirmt hatte von der Außenwelt. Und in dem Moment hörte ich ihre Schritte die Treppe heraufkommen.
Ich war jetzt wieder so weit, daß ich aufstehen und ein wenig im Zimmer herumgehen konnte. Nur die Treppe traute ich mir noch nicht zu, aber es konnte sich nur noch um einen oder höchstens zwei Tage handeln. Trotzdem war ich immer wieder deprimiert, weil ich nichts tun konnte. So setzte ich mich ans Fenster und schaute dem Treiben unten zu. Dabei kam mir zuerst das Gefühl, das ich als Kind erlebt hatte, wenn mir meine Freunde davongelaufen waren. Aber dann, als ich die Schönheit von allem betrachtete, stellte sich ein anderes Gefühl ein, das ich von meinen LSD-Trips her kannte, wenn ich die Aktion voll beherrschte.
Da vor meinem Fenster blühte die menschliche Vegetation in tausenden Facetten, dazu die Vögel und die Katzen, alle völlig absorbiert in was sie gerade taten. Die Menschen, so sah ich, unterscheiden sich von den Tieren nur durch das Ausmaß ihrer Bauten. Nur hier sind auch die Bauten ein Teil der Natur. Alles bröckelt von oben nach unten ab und dann wird es von unten her wieder aufgebaut. Und selbst das Neue befindet sich in einem Zustand des Zerfalls. Jeder Quadratzentimeter lebt! Diese lebendige Wärme in allen Gestalten!
Da begegnen sich zwei Pharisäer mit ihren weiß umwickelten roten Kappen. Der etwas schlechter Gekleidete will etwas von dem anderen, aber der hat es eilig. Ein junger Bursche kommt die Gasse herunter, betrunken vom Leben stößt er plötzlich zusammen mit einem zweiten, der in die selbe Richtung geht. Sie sind Freunde, die sich aufführen wie es bei uns nur Verliebte wagen. Ein Kind quietscht vor sich hin und ein Hahn kräht mit. Ein anderes turnt im Fensterrahmen, während einen Stock höher eine Katze das Sims entlangschleicht und dann in einem Fenster verschwindet. Ein Soldat bleibt stehen mit einem Mädchen. Sie machen ein neues Rendevouz aus. Und über allem ständig die Sturzflüge der Schwalben und das Gezwitscher der Spatzen in dem großen Baum im Hof auf der anderen Seite der Gasse.
Ein großes Konzert, und ich bin seit zehn Tagen an das Bett gefesselt und auch sonst nur halb einsatzbereit - und jetzt wußte ich plötzlich warum: Weil ich alles rechtfertigen wollte, weil ich immer einen Zweck verfolgte. Ich wollte Konzentration lernen, dazu war ich ausgezogen. Aber ich war völlig unkonzentriert. Die da vor meinem Fenster dachten nicht im Schlaf daran, Konzentration zu lernen, aber sie waren voll bei der Sache. Es schien, sie waren gar nicht da, ES war da, das Leben selbst in seinen Myriaden perfekter Varianten. Ich machte mir Sorgen um mich: "Mein Fortschritt ist sehr gering, ich muß mich mehr konzentrieren, damit ich auch bei der Sache bin", ratterte es schon wieder in meinem Kopf. Aber wird Ich so je ES werden? Oder ist ES auch so wie Ich?
Alfred kam wieder an dem Abend. Diesmal kam er meinem Geschmack schon einen Schritt näher, indem er statt harter Zuckerl die ägyptische Variante der "Turkish Delights" brachte. Mir schien, er war eifersüchtig, weil Trixi mich jetzt öfter besuchte, während er sie schon länger nicht gesehen hatte.
Sie kam am nächsten Abend wieder mit einem Sohn ihrer Stiefmutter. Sie hatte mir schon viel von ihm erzählt, weil er ihr so verrückt erschien. Als sie das letzte Mal da war, erzählte sie: "Vorgestern hat er seinen zweiten Geburtstag gefeiert, weil ihm vor genau einem Jahr Jesus erschienen ist. Die ganze Familie mußte mitmachen, mit Kuchen und so. Und dann waren wir am Roten Meer, eine ganze Schar von diesen Jesus-Freaks und ich. Und sie haben so verständnisvoll mit mir geredet - wie zu einem verirrten Schaf mit dem Lächeln dieser Leute, du kennst es ja, sozusagen 'Du wirst es auch noch begreifen'."
Sie hatte natürlich auch ihm von mir erzählt, dem Wahnsinnigen von der islamischen Konkurrenz und nun war er da. Ich fand ihn sehr lieb. Natürlich fragte ich ihn gleich, wie es geschehen war, daß er durch Jesus wiedergeboren wurde.
"Ich hatte Haschisch geraucht", erzählte er, " wie oft und war allein zu Hause. Ich habe sehr viel geraucht. Da ist es mir plötzlich klar geworden, daß das, was Jesus sagte, alles stimmt, so klar, daß schließlich Jesus selber vor mir stand und mir sagte, ich müßte mein Leben völlig verändern."
"So ähnlich ist es mir auch gegangen", sagte ich. "Mir ist zwar nicht Jesus erschienen, aber mir ist beim Marihuana-Rauchen klar geworden, daß ich mit dem Marihuana-Rauchen aufhören muß, und daß die Dinge, um die es in den Religionen geht, alle richtig sind. Ich habe nur von keinem christlichen Lehrer gewußt, der die Wahrheit voll begriffen hätte, deshalb bin ich hierher gekommen und der Scheich hier weiß es.
Und was hast du dann gemacht, nach dieser Erscheinung?"
"Zuerst bin ich in die Kirche gegangen, in die orthodoxe koptische Kirche. Da habe ich aber wenig Verständnis gefunden. Nach einiger Zeit habe ich dann einen anderen getroffen, dem Jesus auch erschienen ist. Der hat mich in eine protestantische Kirche geführt und da waren schon eine ganze Menge anderer, die alle so ein Erlebnis gehabt haben. Und seither treffe ich mich regelmäßig mit ihnen und wir helfen uns gegenseitig, denn es ist nicht leicht, den Glauben zu bewahren, wo ihn rundherum alle verlieren."
Von Trixies Erzählungen hatte ich einen verschrobenen Typen erwartet, aber der schien mir sehr vernünftig.
"Kannst du schon hinausgehen?" fragte Trixie, "dann könnten wir uns in ein Cafe setzen. Es ist so schön draußen."
"Ich habs noch nicht probiert, aber es müßte schon gehen", sagte ich. Wir setzten uns vor das Cafe am Hussein-Platz. Es war herrlich hier, nach meiner Gefangenschaft genoß ich es doppelt, wieder mitten unter den Leuten zu sein. Diesmal, schien mir, war zum ersten Mal auch Trixie offen für ein Gespräch über Religion. Sie selbst fing sogar damit an, indem sie sagte, sie könne sich nicht vorstellen, wozu es gut sein solle, an Gott zu glauben.
"Das kommt daher, weil du das Wort Gott mißverstehst", sagte ich.
"Wieso?"
"Du wirst es gleich sehen, ich werde versuchen, es dir materialistisch zu erklären: Gott ist der Schöpfer. Du weißt ja, es gibt zwei Möglichkeiten im Leben: Energie verbrauchen, die andere erzeugt haben, oder selbst so viel extra Energie erzeugen, daß andere davon leben können. Im ersten Fall wird die Energie weniger und die, die es machen, ruinieren sich selbst damit, im anderen Fall wird Energie aus dem Nichts erzeugt. Das ist das Schöpferische, da ist 'Gott' am Werk. So ist die Welt entstanden und so hat sie sich weiterentwickelt. Und es gibt die verschiedensten Möglichkeiten in dem Sinn zu wirken; es ist gleich ob in einer Religion, als Musiker, oder mit irgendetwas anderem, mit dem du begeistern kannst, so daß du etwas geben kannst, was sich von selber fortpflanzt."
Wir sprachen nun lange über das Schöpferische als die göttliche Energie und beleuchteten das allgemeinverbreitete Mißverständnis Gottes als außerweltliches Lebewesen von allen Seiten. Dann fügte unser Erleuchteter noch etwas sehr Wesentliches hinzu:
"Noch etwas dürfen wir nicht vergessen. Es ist nicht etwas, das du leisten könntest. Gott ist die Liebe und so lange du sie nicht erfahren hast, kannst du dich noch so anstrengen und es kommt nichts heraus. Und wenn du sie erfahren hast, ist es keine Frage mehr, ob Gott existiert oder so etwas. Wenn du die Liebe erfahren hast, ist es dir ein Bedürfnis zu lieben."
Was er sagte, erschütterte etwas in mir. Ich spürte, er sagte nicht etwas, das er irgendwo gehört hatte, sondern es war eine Erfahrung, eine Erfahrung, die in mir nicht so verwurzelt war, daß ich davon hätte sprechen können wie er. Ich hörte es von allen Seiten, aber hier schien etwas in mir zu fehlen. Ich hoffte, Scheich Mahmud Abu Bakr würde etwas tun, um mich in dieser Hinsicht zu erleuchten und ich wollte ihn auch daraufhin ansprechen, wenn sich die nächste Gelegenheit ergab.
Statt dessen
allerdings benahm ich mich wie ein Idiot, als ich ihn nach seiner Rückkehr aus Assuan das nächste Mal sah.
Ich war immer noch beunruhigt über die Farbe der neuen Haut auf meinen Beinen und ich wollte mit Scheich Mahmud Abu Bakr darüber sprechen zusammen mit Fathalla, der die Medizin zusammengestellt hatte. Als Fathalla kam, blieb er nichteinmal einen Moment bei mir stehen, sondern er ging sofort zum Scheich. Ich ärgerte mich. Ich erklärte Heeba, worum es ging und bat ihn, für mich zu übersetzen. Wir setzten uns gleichfalls vor den Scheich und da die Gelegenheit gerade günstig schien, kam ich gleich mit meiner Sorge heraus. Fathalla reagiert sofort ärgerlich und sagte, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen: "Ach, es ist nichts". Ich hätte ihn dafür am liebsten geohrfeigt. Und ich versuchte auch nicht, meinen Haß gegen ihn zu verbergen, als ich nun Heeba erzählte, wie Fathalla meinen Sonnenbrand auch als "allergische Reaktion" abgetan hatte. Heeba übersetzte, aber natürlich blieb meine Beschwerde, wie alle Beschwerden hier, ergebnislos. Der Scheich saß da, und schaute gelangweilt. Er sagte kein Wort und Fathalla legte seinen Siegesblick auf. Ich fragte mich, was der Scheich wohl dachte, wenn Fathalla so vor ihm saß und speichelleckerisch nach jedem zweiten Wort von ihm sein zustimmendes "Aiwa" sprach. Aber Fathalla war ein gutes Werkzeug für ihn, was sollte er gegen ihn haben. Ich war es, der seine Prüfung nicht bestanden hatte und der Scheich ließ es mich auch wissen, als ich ihm die Hand küßte, bevor ich ging: er ließ sie einfach hängen wie ein totes Stück Fleisch.
Später am Abend habe ich dann Scheich Ghafar getroffen und der war ungewöhnlich freundlich. "Ich habe die gleichen Schmerzen wie du", sagte er. "Bitte sei nicht böse mit mir." Es war das erste Mal, daß ich Mitgefühl bei ihm bemerkte. Es war unwiderstehlich, ich mußte ihn einfach auch lieben und all meine negativen Gedanken über ihn, in denen ich ihn als zwanghaften Lügner gesehen hatte, wegen seiner dauernden Übertreibungen, schmolzen weg.
"Die Krankheit", so schrieb ich in der Nacht in mein Tagebuch, "ist ein Ausdruck der Ungeliebtheit, eine Art Trotzreaktion: Da seht ihrs! Es ist nicht auszuhalten mit euch! Ihr seid schuld! Seht ihr, wie krank ihr mich macht!" Wenn man nicht mehr versuchte, die Schuld abzuwälzen, sondern die Dinge einfach nahm, wie sie kamen, müßte die Krankheit verschwinden. Dann hat man das Leiden geopfert. Ich bemühte mich nun, das Ganze so zu sehen. Was hatte ich Fathalla vorzuwerfen? Er hatte eine Medizin für mich gemacht; damit, daß ich die Sonne nicht so gewohnt war wie ein Ägypter, hatte er nicht gerechnet. Und seine Reaktion war einfach seine Art zu sagen, daß er sich unschuldig fühlte an meinem Unglück. Und das sagte ich ihm am nächsten Tag. Er freute sich sehr. Und immer wenn wieder negative Gefühle gegen ihn hochkamen, habe ich mich daran erinnert und, wenn das nicht genügte, eine Fatiha für ihn gebetet, dann waren meine Gefühle wieder beruhigt. So ist mir klar geworden, daß es kein Recht gibt auf Mitleid oder auf irgendetwas, daß vielmehr alles nur Geschenke sind.
Trotzdem wurde
an dem Tag die Subvention für mein Hotel gestrichen. Aber ich wendete auch da
meine neue Erkenntnis an und dankte Scheich Gamar für die Unterstützung, die mir bisher
gegeben worden war.
Inzwischen war ein anderer Sudanese gekommen, der sich nun meiner annahm, Mohammed Bila. Er sagte, er würde mir helfen arabisch zu lernen und er erklärte mir die unübersetzbaren Stellen des Aurad. Er übernahm ein wenig die Funktion von Abd'Rachiem, nur hatte er nicht so viel Zeit, weil er mit seiner Familie hier war und auch geschäftlich einiges zu erledigen hatte. Alfred hatte mir ein gutes Arabischlehrbuch empfohlen, das Lehrbuch der amerikanischen Universität in Kairo. Es benutzt eine leicht zu lesende Lautschrift statt der arabischen Schrift, wodurch gleich zwei Hürden wegfallen, die später leichter zu nehmen sind: Schrift und Aussprache. Da Mohammed sich für religionswissenschaftliche Fragen interessierte, kaufte ich den dritten Band von Castaneda für ihn, damit man auch im Sudan einen Begriff davon bekommen konnte, was die westliche Geisteswelt beschäftigte.
Dann fuhr Scheich Mahmud Abu Bakr mit seiner Delegation nach Alexandria und ich war wieder allein und deprimiert, besonders weil mich so viele fragten, warum ich nicht mit nach Alexandria gefahren war. Es hatte mich keiner eingeladen. Wieder kamen all die alten Zweifel, ob es nicht Wahnsinn war, was ich hier machte. Um sie zu vertreiben, ging ich zu Saida Seynab. Dort kam Dr. Sanhuri auf mich zu, der Bruder von Scheich Ghafar und sagte, er sei leider wegen einer Nierengeschichte im Bett gelegen, die letzten Wochen, sonst hätte er mich besucht. "Ich fahre heute abend wieder nach Khartoum", sagte er, langte in die Tasche und gab mir einen Geldschein, "daher brauche ich das nicht mehr." Es waren zehn ägyptische Pfund.
Als ich nach
Hause kam, schrieb ich einen Brief an Abd'Rachiem, auch um ihn zu bitten,
sich für mich wegen einer Arbeit in Saudia zu erkundigen. Mein Visum lief jetzt
bis 10. Juni, bis dahin war der Scheich wieder in Khartoum und ich würde
hoffentlich wissen, was tun. Die Frage wurde immer drängender. Natürlich fragte
ich auch wieder das I Ching
und wieder traf die Antwort in verblüffender Weise den Nagel auf den Kopf:
"Du verläßt deine vielversprechende
Arbeit und schaust mich an, bis dir das Unterkiefer herunterhängt." Irgendwie konnte
ich es auch schon sehen, daß ich einfach zu meiner Arbeit, die zu meiner
Abreise geführt hatte, zurückkehren mußte, aber noch konnte ich mich nicht
lösen.
Ich wollte ja auch arabisch lernen und das ging wohl am besten hier. Als ich mit Mohammed Bila darüber sprach, hörte Hassan, der Parfümhändler zu und
machte mir gleich ein Angebot: zweihundert Pfund Fixum und Provision, wenn ich für ihn bei
den Pyramiden herumlief und Touristen in sein neues Geschäft lockte. Davon allerdings hielt
ich gar nichts. Lieber hätte ich in Khartoum deutsch unterrichtet oder etwas Ähnliches. Mohammed versprach, sich für mich nach
seiner Rückkehr zu erkundigen.
Diesen Donnerstag Mitte Mai, war die letzte Hadra mit Scheich Mahmud Abu Bakr und da hat er wieder gesungen wie damals in Khartoum, mit einer Kraft, die niemand für möglich halten würde, der ihn sprechen gehört oder ihn gehen gesehen hat. Er war wie verwandelt und seine Energie strömte auf alle über. Die ältesten Ochsen fingen an zu springen wie junge Böcke. Mir gings genauso. Nicht nur, daß man sich schämen müßte vor dem alten Mann, wenn man sich von Müdigkeit beherrschen ließe, aber da war eine echt göttliche Schöpferkraft am Werk und sie begann, die ganzen Blockaden zu lösen und nach und nach, bei allen durchzubrechen. Ein wenig habe ich das auch mit Scheich Ghafar erlebt, aber in der Aura des Scheich Ghafar fand ich immer auch Elemente, die dem lähmenden Einfluß Anhaltspunkte gaben. Über Scheich Mahmud Abu Bakr kann sich keiner ärgern, denn über seine Motive gibt es keinen Zweifel.
Am letzten Tag mit ihm ergab sich nocheinmal eine Gelegenheit für mich, Fragen zu stellen. Ich hatte Mohammed Bila einiges aufgeschrieben. Der Scheich war bester Laune und ich war sicher, daß ich nun endlich meine Antworten erhalten würde, besonders, als er auf meine einleitende Bemerkung, daß ich das Gefühl hatte, daß manche hier fürchteten, meine Fragen könnten den Glauben mancher Brüder erschüttern, laut lachte und sagte, ich solle nur fragen, was ich wollte. Ich hatte das Gefühl, er freute sich schon auf die Fragen. Mohammed Bila zwinkerte mir zu und begann die erste Frage vorzulesen. Da schrie draußen die Frau des Scheichs - übrigens eine kongeniale Lady - etwas, das so klang, als wollte sie, daß er zu ihr komme. Er schrie etwas zurück, das so klang wie "Ich habe jetzt keine Zeit". "Aiwa", sagte er und nickte Mohammed Bila zu, weiterzulesen. Da kam Heeba und flüsterte dem Scheich etwas ins Ohr. Der Scheich sagte etwas zu Mohammed Bila, dann stand er auf und alle anderen im Raum auch. Aber er deutete ihnen, sich wieder zu setzen. Als er draußen war, setzten sich alle wieder und Mohammed sagte zu mir: "Er hat gesagt, er wird gleich wieder da sein." Ich war nun sehr gespannt. Aber nach einigen Minuten kam Scheich Zadik und sagt der Scheich sei beschäftigt, es gäbe keine Fragestunde mehr. Und am nächsten Tag war die Abreise.
Der Abschied war
sehr rührend für alle. Eine
Tochter des Scheichs blieb hier. Sie wohnte bei Scheich Ghafar und auch sein
Sohn Hussein. Er blieb im Dar. An der Familie des Scheich konnte ich sehen, daß die Erbfolge und die Verehrung
der Familie ihre Berechtigung haben. Ich hatte zuvor keine Familie kennengelernt, in
der das so klar zutage getreten wäre wie hier. Alle Einzelnen waren
Muster an Menschenfreundlichkeit, "Walis", wie man hier sagte.
0: Inhaltsverzeichnis
1: Ein Lehrer wird
gebraucht und er erscheint
2: Der Lehrer wird
getötet und die Reise beginnt
4: Bei den Schülern des Lehrers des Lehrers
5: Die
Deutschen kommen
6: Der Geburtstag von Sydna
el Hussein
7: Der Scheich wird erwartet
8: Maulana
9: Was
nun?
l0: Meine Fragen
11: Die Antwort
Verzeichnis der
arabischen Ausdrücke